„Das Leben ist eigentlich eine feine Sache!" (Abba Naor)

(STF) Nach zweijähriger Coronapause konnte die Exkursion nach Dachau, begleitet von einem Zeitzeugengespräch, wieder stattfinden. 

Zwischen dem 20.06. und 22.06. fuhren 30 Schüler*innen der beiden Geschichts-Leistungskurse der Stufe Q1 mit ihren Lehrkräften Volker Lux und Stephan Maus sowie den drei Referendar*innen Stefanie Schaudt, Anne Schnell und Frederic Steffgen auf die seit 2009 jährlich stattfindende Dachaufahrt des Schiller-Gymnasiums.  

Montagmorgen um 5:15 Uhr (kein Scherz!) trafen sich alle Schillerianer am Kölner Hauptbahnhof, um rechtzeitig den ICE nach München zu nehmen. In München angekommen nahmen wir die S2 nach Dachau, die allerdings in Allach strandete. Nach einer längeren Verweildauer und dank des großen Organisationstalents eines Schülers erreichten wir das Jugendgästehaus rechtzeitig vor dem Mittagessen. Nach einer stärkenden Mahlzeit begann für die Schüler*innen ein Seminarprogramm von 14:00 - 18:00 Uhr. Abschließend klang der Abend in erschöpfter und geselliger Runde aus. 

Am Dienstag um 9:00 Uhr wurden wir dreieinhalb Stunden in zwei Gruppen durch die KZ-Gedenkstätte Dachau geführt. Kilian und Clara, unsere Seminarleitungen, konnten wahrlich jede Nachfrage beantworten, zeigten uns jeden Winkel der Gedenkstätte, konnten exemplarische, relevante und elementare Geschichten der Geschichte des Konzentrationslagers Dachau sowie des Nationalsozialismus anführen. Die Führung war vor allem durch zwei markante Szenerien einprägsam und emotional: Zu Beginn gingen wir alle durch das Eingangstor mit der Überschrift „Arbeit macht frei". Ein perfider Ausspruch, der die reale Vernichtung von Menschen mittels Arbeit und dem Begriff der Freiheit gleichsetzt. Zuletzt wurden uns die beiden Krematorien des Konzentrationslagers gezeigt. Wir schritten als Gruppe durch die Desinfektionsräume, den Warteraum und schließlich in die Gaskammer. Es wurde postwendend still und die Gruppendynamik erlosch. Man fühlte, dass der überwiegende Teil in eine sehr andächtige, fast schon bedrückende emotionale Lage geriet und schnellstmöglich diesen Raum wieder verlassen wollte. Im Anschluss gab es noch die Möglichkeit Fragen zu stellen.  

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Ich würde gerne an dieser Stelle eine Frage an die Leser*innen richten, über die sie einen Moment innehalten sollen: Was ist eine Gedenkstätte? Unserer Gruppe wurde diese Frage vor dem Besuch gestellt und vielen fiel auf, dass die Antwort auf solch eine vermeintlich einfache Frage gar nicht so eingängig ist. 

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Nach diesem ersten Rundgang folgte, im Anschluss an die Mittagspause, ein wiederholter Gang in die Gedenkstätte. Der zweite Besuch zeichnete sich vor allem durch den Besuch des Museums, einer cineastischen Vorstellung und einer kooperativen Rechercheaufgabe in Kleingruppen und Kurzreferaten über die jeweiligen Gebäudekomplexe des ehemaligen Konzentrationslagers aus. Dieser lehrreiche Tag endete vorerst mit einem Besuch im Gedenkraum, in dem Hinterbliebene Gedenktafeln und Kunstwerke hinterlassen können. Auch ein Buch mit den Namen aller 41.500 KZ-Dachau-Verstorbenen im Zeitraum 1933-1945 konnte betrachtet werden. 

Eine Reflexion der Eindrücke wurde im Anschluss durchgeführt. Um ein wenig Abstand zu diesem emotionalen Tag zu gewinnen, fuhren wir am Dienstagabend nach München und konnten drei Stunden lang die Stadt erkunden, shoppen oder den Abend mit einem kühlen Getränk ausklingen lassen. 

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Am Mittwochmorgen wurden die Schüler*innen durch die Seminarleitung auf das Zeitzeugengespräch mit Abba Naor vorbereitet. 350 von 60.000 jüdisch-litauischen Kindern überlebten den Holocaust; einer davon war er. Im Anschluss daran begann Abba Naor mit der Erzählung seiner Geschichte. Als Dreizehnjähriger wurde er 1939 mit seiner Familie in das Ghetto seiner Heimat Kaunas deportiert. Dort verlor er seinen älteren Bruder, der vor den Augen seiner Familie erschossen wurde. Wenige Wochen später wurden seine Mutter sowie sein kleinerer Bruder nach Auschwitz deportiert und sahen sich folglich nie wieder. Es folgte Abba Naors Umsiedlung in das Konzentrationslager Stutthof in Polen. Von dort aus ging es in die Außenlager des KZ-Dachaus, wo er zuletzt im Außenlager Kaufering schwerste Zwangsarbeit sowie einen Todesmarsch überstand und 1945 durch die Amerikaner befreit wurde. Nach diesen Erlebnissen emigrierte er nach Israel und arbeitete als Agent des Shin Beth und Mossad. Seit 2017 fungiert er als Vorstand des Dachau-Komitees und als Nachfolger des verstorbenen Max Mannheimers. Abba Naor schwieg Jahrzehnte über seine Vergangenheit. Erst als sein Enkel ihm am Tisch sagte, dass er, wenn er erwachsen sei, für ihn eine Uhr erfinden würde, die rückwärts läuft, damit Abba Naor seine Familie wiedersehen könne, fasste ebendieser den Entschluss, Jugendlichen und jungen Erwachsenen seine Verfolgungsgeschichte zu erzählen und für das Thema zu sensibilisieren. Die Gruppe fühlte mit, einige wurden emotional, andere rangen mit ihren Gefühlen. Zu guter Letzt bestand die Möglichkeit, Fragen zu stellen, die Abba Naor mit großartiger Finesse und zum Teil makabren Galgenhumor beantwortete. Er wiederholte in seiner Erzählung sehr oft: „Das Leben ist eigentlich eine feine Sache! Kinder, genießt das Leben." Vielen ist dieser Satz auch bei der Reflexionsrunde im Schiller im Gedächtnis geblieben, womit Donnerstag dieses prägende Ereignis offiziell endete. Inoffiziell wird es, und dies mit Sicherheit, bei vielen einen prägenden Einschnitt hinterlassen haben, den sie im Leben nicht vergessen werden. Beeindruckend, wenn bedacht wird, dass die jetzige Generation die letzte Möglichkeit hat, mit Zeitzeugen zu sprechen, die das dunkelste Kapitel der Menschheit miterlebten. An dieser Stelle sei auch ein Lob an die Schüler*innen gerichtet, die sich vorbildlich benommen und sich äußerst interessiert, aufgeschlossen und respektvoll gegenüber den Seminarleiter*innen und Abba Naor gezeigt haben. 

Dieser Bericht begann mit dem Zitat Abba Naors und soll im Verbund mit dem Schiller-Projekt „Wider das Vergessen" mit einem Appell der Geschichtswissenschaften enden: 

„Nie wieder Auschwitz!" 

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